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Über Never Normal, fehlende Drehbücher und unternehmerische Verantwortung:

Trends & Herausforderungen 2022

Wie in jedem Jahr beantwortet Digitalpionier Janus Boye auch 2021 zum Jahreswechsel unsere Fragen: Was können wir aus 2021 lernen und welche Trends erwarten uns 2022?

Janus Boye und byte5 sind seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden. Wie in jedem Jahr, beantwortet Janus auch im Dezember 2021 unsere Fragen zu möglichen Trends und Herausforderungen im kommenden Jahr. 2022 stehen für ihn alle Ideen zur Diskussion und unternehmerische Verantwortung im Fokus.

Nachdem bereits 2020 die Arbeitswelt durch Corona auf den Kopf gestellt wurde, hat uns das Thema leider auch in diesem Jahr weiter begleitet. Im Interview 2020 hast du dich gefragt, wie die neue Normalität überhaupt aussieht, nach der wir streben wollen. Was sagst du heute dazu?

Ich bin einer, der meint das Glas ist halb voll. Ich bin – meiner eigenen Meinung nach – auch sehr positiv mit Blick auf die Zukunft. Aber im Laufe dieses Jahres haben wir Vieles gelernt. Eines unserer Mitglieder hat im September gesagt: „Never Normal statt New Normal." Wenn man das so hört, kann das einem negativ vorkommen und stressig. Aber vielleicht ist es besser, es so zu betrachten. Irgendwann wird es wieder eine Normalität geben, aber wahrscheinlich kommt dann etwas anderes – hoffentlich keine zweite Pandemie. Da ist es von der Denkweise vielleicht ein besserer Weg, dass wir nicht auf eine neue Normalität warten, sondern einfach damit leben, dass Veränderungen da sind.

Aber wir müssen für uns selbst, für unseren Arbeitsplatz, für unser Unternehmen, für unsere Kunden einen Beitrag leisten. Einen Weg finden, sodass wir nicht zwischendurch Stress-bedingt krank werden, dass wir in diesem Never Normal auch Spaß haben können, auch unsere Projekte machen können. Dass wir mit der Situation vernünftig umgehen können, damit zurechtkommen und uns dadurch nicht stressen – das ist meine Hoffnung.

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Janus, du beschäftigst dich seit vielen Jahren mit dem digitalen Wandel. Welche entstandenen Trends in puncto Zusammenarbeit sind für dich zukunftsträchtig?

Viele haben darüber gesprochen, dass wir jetzt gelernt haben, nicht immer reisen zu müssen für einen Termin. Ich muss nicht unbedingt nach Frankfurt kommen für dieses Interview. Es gab auch vor der Pandemie Termine bei denen jetzt ganz klar wäre: Dafür muss ich nicht reisen, das können wir telefonisch machen oder per Teams. Aber mein Eindruck auch von unseren Mitgliedern ist, dass wir menschlich diese Vorort-Termine vermissen. Sicherlich werden wir auch in Zukunft Termine haben, wo wir denken: „Ok, warum bin ich jetzt eigentlich hierher gekommen?". Aber da habe ich vielleicht dich ein bisschen besser kennengelernt. Da haben wir an der Kaffeemaschine darüber gesprochen, dass du dich auch sehr für Wakeboarding interessiert. Oder über irgendeine Thematik, die wir vielleicht sonst nicht geschafft hätten bei einem rein virtuellen Treffen. Das ist einfach wichtig für uns als Menschen. Genau das ist vielleicht ein riesiges Lernziel hier: Dass wir dieses Verständnis dafür bekommen, was wir als Menschen brauchen. Wir brauchen auch die Körpersprache, das Lachen, alles, was man nicht immer durch Teams mitbekommt.

Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der Trends in alle Richtungen gehen. Es ist jetzt ja auch die Jahreszeit für Top-10-Vorhersagen für das nächste Jahr. Vorher war das so, dass 8 von 10 überall identisch waren – egal ob Gartner, Forrester, Handelsblatt, Frankfurter Allgemeine Zeitung. Aber jetzt geht das in alle Richtungen. Und genau das ist vielleicht der Trend im Moment: Alle Ideen stehen zur Diskussion. Wenn ich mit 10 Mitgliedern rede oder 10 unterschiedliche Artikel lese, dann geht das in 80 unterschiedliche Richtungen. Es gibt keinen allgemeinen Trend. Das wird spannend.

 

Community-Arbeit ist ein großer Bestandteil eures Alltags bei Boye & Company. Für November 2022 plant ihr wieder die Boye Conference. Wie hat sich die Community-Arbeit entwickelt?

Mir fehlt im Moment ein Drehbuch. Ich habe Mitglieder, die kenne ich jetzt seit mehreren Jahren. Ich habe ganz neue, die habe ich im November hier bei der Konferenz zum ersten Mal getroffen. Das war sehr privilegiert. Aber wenn ich das jetzt mit vor der Pandemie vergleiche: Thematisch hat sich etwas getan, da kam vielleicht Responsive Design oder eine neue Version von Umbraco. Aber von den ganzen Abläufen her war das sehr vorhersehbar und man konnte einfach mehr oder weniger einem Drehbuch folgen. Aber aktuell habe ich das nicht, das hat eine Personalabteilung nicht, das hat keiner. Das ist für mich wirklich klar geworden in den letzten Monaten: Der Bedarf für Erfahrungsaustausch ist noch größer. Weil die Situation ist wirklich – wie Angela Merkel vor knapp 10 Jahren gesagt hat – für uns alle Neuland.

Aber wie kommen wir jetzt damit klar? Wie schaffen wir jetzt einen guten Arbeitsplatz, wo auch Mitarbeiter Lust haben, 20 Jahre zu bleiben? Wie bieten wir Mitarbeitern Weiterentwicklung an? Konferenzen, Kurse, können wir sie überhaupt nach beispielsweise Aarhus schicken? Wie geht das, ist das okay? Ist das sicher? Wie ist das mit der deutsch-dänischen Grenze? Das war ja vorher überhaupt kein Thema. Du setzt dich in einen Flieger und du bist jetzt in Tadschikistan oder wo auch immer.

Klar, wenn du jetzt Lust hast auf agiles Coaching gibt es Unternehmen, die bieten so eine Weiterbildung an. Da kannst du alles virtuell machen. Hast du darauf Lust? Dann mach das, das ist super! Aber das ist nicht der ideale Weg für Viele zum Lernen. Andere brauchen wirklich einen Tagungsraum oder ein Seminar oder ein verlängertes Wochenende. Wie können wir das jetzt alles anbieten? Wann geht das wieder, ist das sicher? Alle diese Fragen muss jeder Arbeitgeber für sich selbst im Moment beantworten. Da brauchen wir – noch mehr als früher – wirklich eine Art Open-Source-Erfahrungsaustausch. Dass man das Drehbuch, das in Entwicklung ist, das halb fertig ist, miteinander teilen kann und sagen kann: „Das haben wir für uns gemacht, das hat bei uns geklappt. Das passt zwar eigentlich nicht für eure Unternehmenskultur, aber die und die Bausteine könntet ihr nehmen."

Janus Boye und Chris Köhler

© byte5

Janus Boye und Chris Köhler

 

Hast du auch bei euren Mitgliedern gemerkt, dass der Bedarf an einem solchen Austausch gestiegen ist?

Vorher würde ich sagen, hatten wir einen festen Ablauf, ein Experten-Gruppentreffen wie eine Art Seminar. Ein bisschen vereinfacht: Hier mal einen Vortrag, da mal einen Workshop, zwischendurch Pausen und wir sind fertig. Jetzt haben wir immer noch Workshops und mal einen Speaker mit ein paar Folien. Aber die Mitglieder erzählen uns, dass sie eigentlich mehr Pausen wollen. Sie wollen mehr dieses unpolished: „Zeig mir etwas Unfertiges. Zeig mir etwas, von dem du auch selbst weißt, das ist gar nicht perfekt. Da sind hier und da vielleicht auch Fehler drin. Lasst uns darüber reden. Da können wir einander helfen, unterstützen, Fragen stellen.“ Noch mehr als früher suchen die Leute weniger Antworten, sondern gute Fragen. Vor zwei Jahren hätte ich noch gesagt, ich hätte gern die Antwort bitte. Und das ist der Punkt: Manche der Fragen sind die gleichen Fragen wie vor zwei Jahren, aber die Antworten haben sich geändert. Das ist gemein, weil so haben wir das nicht in der Schule gelernt. Da war die Frage die gleiche und die Antwort war auch zwei Jahre später die gleiche.

Wenn wir uns jetzt treffen, sagen die Leute: „Mach doch bitte eine längere Mittagspause. Lass uns doch noch einmal um die Gebäude gehen, ein bisschen frische Luft einatmen. Lass uns einfach genießen, dass wir hier sind. Und lass uns miteinander offen darüber reden, was uns am Herzen liegt.“ Das war ehrlich gesagt auch ein bisschen herausfordernd für uns. Ich weiß auch, dass die Mitglieder im Vorfeld eine Entscheidung treffen. Die kommen nicht immer einfach, weil wir sie eingeladen haben. Sie schauen ja auch, was auf der Agenda ist und wer sonst noch kommt. Das heißt, wir können nicht einfach sagen, wir machen jetzt dänisches Hygge, wir chillen einfach 8 Stunden. Sie erwarten etwas. Aber wenn sie dann da sind, dann sagen sie: „Mach doch den Vortrag kürzer, sodass wir ein bisschen mehr Zeit haben, spielerisch das Thema anzugehen.“

Das hat mich überrascht, weil gleichzeitig haben Viele ja dieses Erlebnis, dass sie jetzt effizienter sind. Dieser Termin ist um 11:45 Uhr fertig und dann kommt der nächste und danach kommt der nächste. Aber ist das eine gute Lebensqualität? Ist das eigentlich für mein Arbeit gut? Macht das Freude?

Du hast bereits angedeutet, dass du dich aktuell mit Vorhersagen schwertust. Trotzdem die Frage: Welche Themen werden 2022 im Mittelpunkt stehen und mit welchen Herausforderungen werden wir konfrontiert sein?

Ein ganz großer Punkt, den England und auch die USA vor uns erlebt haben, sind Themen, die uns trennen. In den USA war das Trump, in England war das der Brexit, jetzt für alle Corona. Wie gehen wir damit um? Wie gehen wir damit um, wenn wir vielleicht einen Kollegen haben, der ungeimpft ist? Auch menschlich, wie führen wir das Gespräch mit ihm? Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn ich jetzt in die Politik nach Deutschland schaue und leider auch hier in Dänemark, sehe ich das überall. Es gibt diese ansteckende Polarisierung.

Da finde ich es einfach wichtig, dass – auch wenn das mühsam ist oder viel Energie kostet – jedes Unternehmen einen Beitrag leistet. Dass wir uns wieder verbinden können und sagen: „Ok, ich kann vielleicht deine Einstellung nicht verstehen, aber ich schätze dich immer noch als Mensch. Für deinen Beitrag zu diesem IT-Projekt oder dieser Implementierung von Laravel wirst du immer noch geschätzt. Du bist sicher auch immer noch ein guter Vater oder eine gute Mutter.“ Das finde ich sehr, sehr wichtig. Da ist es ok, als Unternehmen laut zu sein. Da können wir nicht einfach sagen, dass macht jetzt für uns Olaf Scholz und alles wird gut, das kriegen die in Berlin geregelt. Das heißt, dass auch viele Mitarbeiter jetzt diese Erwartungen an Unternehmen haben, dass sie etwas tun müssen. Was können wir zum Beispiel tun als Arbeitgeber, das 1,5°C konform ist?

Aber auch bei anderen Themen wird erwartet, dass der Arbeitgeber Stellung bezieht. Beispielsweise zum Thema Diversität. Nicht nur bezogen auf Frauen und Männern, sondern im breiteren Sinne. Wie können wir das angehen, dass Leute nicht exkludiert werden, sondern dass sie sich hoffentlich 100% als Teil der Community am Arbeitsplatz fühlen? Da haben wir alle eine riesige Aufgabe vor uns, die aber auch sehr wichtig ist.

 

Lieber Janus, vielen Dank für das ausführliche Gespräch und die interessanten Einblicke in deine Arbeit. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern einen guten Start in ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr!

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